Kritik & Rezension

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CD-Kritiken

Brain Donor:  Wasted Fuzz Excessive

Julian Cope: Black Sheep Es geht doch nichts über produktive Künstler. Nachdem Julian Cope zuletzt mit seiner genialen Joe Strummer Memorial Busking Tour im wahrsten Wortsinne auf eher akustischen Pfaden umherwanderte, lässt er mit seiner "Stuporgroup" Brain Donor gleich zu Beginn des neuen Jahres die Verstärker wieder auf Volllast laufen. Seine Plattenreviews auf www.headheritage.co.uk zeigen, dass Ausnahmekünstler Cope jede Menge Musik verköstigt, die sich fern ab dessen bewegt, was Alternative- oder Indierock im Schnitt zu bieten haben. Und während selbst seine für Durchschnittsohren schwer konsumierbaren Soloalben vergleichsweise melodisch und eingängig daherkommen, entwickelt sich Brain Donor immer mehr zur Plattform für Copes experimentellmusikalische Obsessionen. Gewiss ist in seiner Künstlerseele Platz für beide Regungen; und es kann davon ausgegangen werden, dass sie dort gleichwertig koexistieren.

Als Cope Ende der 1990er Jahre gemeinsam mit Spitzengitarrist Doggen und Drummer Kevlar das Powertrio Brain Donor aus der Taufe hob, servierte man dem Publikum harten Proto-Metal und krachenden Post-Glamrock. Cope und Doggen stelzten geschminkt und auf Plateausohlen über die Bühne und arbeiteten sich an Doppelhalsgitarren ab, um optisch eindrucksvoller und akustisch wuchtiger rüberzukommen. Zuweilen verließen Mengen konsternierter Zuschauer die Säle, weil sie nichts mit dieser ekstatischen Musik anzufangen wussten, zu der Cope mehr brüllte als wie üblich kunstvoll sang. In viele Gesichter stand wohl die Frage geschrieben, ob das wirklich der Mann ist, der mal "Fear Loves this Place" gesungen hat.

Mit der Zeit, spätestens aber seit dem Album Brain'd Boner, verschob sich der Sound mehr in Richtung rauschhaft-meditativer Elemente. Hier dominieren epische Gitarrenkaskaden und bis zur Penetration wiederholte Gewaltriffs, die mit zuweilen grotesk übersteigerten Gesangslinien verfeinert werden. Ganz in dieser Machart fällt auch Wasted Fuzz Excessive aus. Auf die gesprochenen Einführung The Mead of Fimbulthul folgen zwei ausgedehnte Instrumentalstücke (Gates of Skagerrak, Death Becomes You) aus der Kategorie "verzerrte Klangmeditation", die zur einen Hälfte aus Gitarrensoli und zur anderen Hälfte aus Wah-Guitar-Kontemplationen bestehen. Auf Dyselexia Rules K.O. spielt sich Doggen endgültig in den Olymp der Gitarrengötter, wenn er ganz ohne Begleitmusiker die Skalen hoch und runter fiddelt. Mit Emerging folgt mal wieder ein Stück in alter Donor-Tradition, ebenfalls gespickt mit Doggens Fingerfertigkeit und Copes treibendem Bass und Gesang. Unmittelbar daran schließt sich mit Shadow of my Corpse ein bemerkenswertes Basssolo an, das wohl gelegentlich zum Cope'schen Live-Repertoire zählt. Ein wenig eingängiger klingt danach der entfernt an Iggy Pop erinnernde Song Frankenstein. Diesem warf Cope übrigens einmal vor, künstlerisch einfallslos geworden zu sein (was der Autor nur bestätigen kann). Er empfahl ihm, mal ein Album mit meditativer Gitarrenmusik und ganz ohne Gesang zu machen. Was er damit meint, lässt sich auf Wasted Fuzz Excessive in Teilen erleben. Fokkinger Slag und The Hanging beenden dieses eindrucksvolle Album mit einer gehörigen Prise musikalischer Experimentierfreudigkeit, Copes schwerlastigem Basssound und exzessiven Gesangsparts. The Hanging treibt das alles auf die Spitze und trägt den Zuhörer auf dahinwabernden Geräuschteppichen zurück in die Stille nach dem Ende der CD.

Wasted Fuzz Excessive ist alles andere als leichte musikalische Kost. Musikalische Meditationen, die in ihrer Rau- und Schroffheit ideal zu den kühlen nordischen Landschaften passen, die Cope samt ihrer Mystik gerne beschwört. Und hat man sich erst mal warmgehört, folgt man nur allzu gern der Aufforderung auf dem Cover:"Play this Power Trio Loud as Hell!".

Infos / Bezug:   www.headheritage.co.uk     www.braindonor.org



Julian Cope: Black Sheep

Julian Cope: Black Sheep Die Erwartungshaltung war groß, als Julian Cope vor einigen Monaten auf seiner Website (  www.headheritage.co.uk) ankündigte, an einem neuen Album zu arbeiten. Vom Dasein als "schwarzem Schaf", als Außenseiter in der modernen westlichen Gesellschaft, sollte es handeln, so die Ankündigung. Musikalisch sollte der bereits bei "You gotta Problem with me" eingeschlagene Weg weiter verfolgt werden. Zu erwarten war also eine eher ungewöhnliche Instrumentierung aus orchestralen Perkussionsinstrumenten, Mellotron (einem mit Magnetbändern betriebenen analogen Tasteninstrument), Oboe, Synthesizer und - man merke auf - schönem mehrstimmigen Gesang.

Schnell wurde bestellt, als "Black Sheep" endlich im Merchandiser von Headheritage landete. Und mit zittrigen Fingern schließlich in den CD-Player gesteckt, offenbarte Copes neues Album eine gelungene Vorstellung von einem so hoch entwickelten wie visionären Songwriting. Cope höchstselbst gestaltete zudem das Cover, das die in Öl gemalte Flagge der Anarchisten mit einem Zitat C.G. Jungs schmückt.

Black Sheep ist ein Album der ruhigen Töne. Wie bei Cope üblich, verteilen sich die neun Songs auf zwei CDs mit zusammen knapp 70 Minuten Länge. CD Eins trägt den Untertitel "The Return of the Native" und klingt ein kleines bisschen härter, als CD 2 - "The Return of the Alternative". In die Ohren sticht bei beiden Teilen des Konzeptalbums vor allem die stilistische Unterschiedlichkeit der Songs. Kommen Come The Revolution und It's Too Late To Turn Back Now anarchisch krachend daher, gehören These Things I know, Blood Sacrifice und Psychodelic Odin der feinmelodischen Songfraktion an, die von Cope überzeugend mit ruhiger und klarer Stimme gesungen wird. Bei letzterem handelt sich dazu um ein typisches Beispiel für Copes geniales Gespür für betörend schöne Melodien. Fast schon ein umwerfender Pop-Song alter Cope-Schule, mit dem der visionäre "Archdrude" früher einen Großteil seiner Brötchen verdient hat. Ganz anders dagegen The Shipwreck of St. Paul; in dem ein magisch verzerrter Gesang durch tief wabernde Synthesizerklänge dringt. Das Stück besticht durch eine eigentümlich mystische Stimmung, die sich erst bei mehrmaligem Hören in voller Gänze entfaltet.

CD2, "Return of the Alternative", beginnt geradezu beschwingt mit All The Blowing-Themselves-Up Motherfuckers, in dem ein eingängiger Chorgesang dominiert. Es wird gefolgt von Feed my Rock n' Roll, dem einzigen eher schwächeren Song auf dem Album. Das filigran-schöne Dhimmi is Blue handelt (u.a.) augenscheinlich vom Sterben und wird mit glockenklarem Gesang zu Klavier vorgetragen. Der Black Sheep Song bildet das inhaltliche Kernstück. In dem ruhigen Akustikgitarrenlied geht es um die "Schwarzen Schafe", die sich nicht von der geführten und manipulierten Masse einnehmen lassen, weshalb sie ein benachteiligtes Randdasein fristen müssen. In ihrer Unangepasstheit bilden sie jedoch das Rückgrat jeder Freiheit und Unabhängigkeit. Den Abschluss bildet das epische I can Remember this Life, das sich gerade wegen seiner pulsierenden Ruhe um so eindringlicher in den Geist des Hörers schraubt. Eine meditative Stimme singt eine fast altertümlich wirkende Melodie zu einem harmonischen Gemenge aus einzeln gesetzten Klaviertönen, Synthesizerklängen und wabernden Mellotronlinien - ein würdiger Abschluss für ein großartiges Album.

In seinem Vorwort beschreibt "Hobby-Historiker" Cope die Ausbreitung der Wüstengötter Jehovah, Allah und des Christengottes aus dem kriegerischen mittleren Osten nach Nordeuropa. Er stellt treffend fest, dass diese Wüstengötter in ihrer Grausamkeit und Inhumanität die ebenso grausamen, kriegerischen und insgesamt sehr schwierigen Lebensumstände jener Völker widerspiegeln, die in der Antike in dieser Weltgegend lebten. Allerdings seien diese fremdländischen Gotteskonzepte den nordeuropäischen Lebensumständen und der daraus resultierenden Kollektivpsyche kaum angemessen. Jedoch von den patriarchalen Römern dorthin exportiert, seinen die nordischen Götter ausgelöscht worden, und mit ihnen das Konzept der Gleichheit der Geschlechter, das - so kann es interpretiert werden - bei Cope für ein Konzept der wahren Humanität steht. Mit den Wüstengöttern brachen also Unterdrückung, Gewalt und Inhumanität in die nordische Welt ein, ganz nach seinem Schlagwort: "The True Fiend Rules in God's Name" (Der wahre Feind herrscht im Namen Gottes).

Black Sheep ist alles in allem ein musikalisch wie inhaltlich ausgesprochen inspirierendes Album eines der wenigen Kulturschaffenden, die man noch ohne Vorbehalte als wahren "Vollblutkünstler" bezeichnen kann.



The B-52s: Funplex

The B-52s: Funplex Sechzehn Jahre Versenkung sind eine ganze Menge. Diese halbe Ewigkeit liegt die Veröffentlichung des letzten Albums der B-52s bereits zurück. Sicher haben die Vier aus Athens / Georgia in der Zwischenzeit das ein oder andere geleistet, doch mit Funplex meldet sich die beste Partyband der Welt endlich wieder komplett zurück im Neolicht. Dennoch wirft die lange Pause Fragen auf: Was war los? Keine Ideen mehr gehabt? Oder sollen bloß noch ein paar Zusatztaler für die Rente eingefahren werden? Immerhin sind Fred Schneider & Co. jenseits der 50 und damit nicht mehr die Allerjüngsten. Wie dem auch sei, Funplex klingt frisch, locker, dynamisch und genau so, wie man die B-52s seit eh und je kennt.

Kate Pierson und die wieder eingestiegene Cindy Wilson singen luftig-locker, spritzig, kreischen zuweilen, und dringen mit Leichtigkeit selbst in trägste und verschmalzteste Gehörgänge ein. Sie sind mit einem Wort einfach DAS weibliche Gesangsgespann der Rockgeschichte. Dabei klingen sie so jugendlich wie immer und geben bessere Punk-Röhren ab, als so manches Teeniemädel. Ihre Stimmen sind so urweiblich wie anregend und nebenbei auch eine willkommene Abwechslung zum industriekonformen DIN-Soulgejodel, das einem heute überall in die Ohren gekleistert wird.

Doch was wären die beiden ohne den kosmischen Fred Schneider? Seine unverwechselbare Comicstimme reicht, wenn's hoch kommt, gerade über eine halbe Oktave. Aber diese halbe Oktave hat es knüppeldicke in sich. Schneiders Vokalattacken sind nicht nur das Salz in der Ursuppe, sondern der Kontrapunkt zur weiblichen Gesangsdynamik. Man freut sich auf jeden neuen Einsatz, fiebert ihm förmlich entgegen. Und ein besonderes Highlight ist es, wenn Schneider die Leadvocals übernimmt, wie etwa in Eyes Wide Open, das im Übrigen leicht an This Planet's a Mess aus seinem 1984er Soloalbum Monster erinnert - und das war Wave pur.

Keith Strickland ist bei allem der unscheinbare Strippenzieher im Hintergrund. Der schüchtern wirkende Gitarrist hat nicht nur zusätzlich die meisten Bassspuren eingespielt, sondern firmiert auch als Musical Director und ist für eine Reihe der computergestützten Sounds verantwortlich. Letztere verleihen dem Album einen diesmal angenehm modernen Hauch und hätten durchaus ein wenig fetter und öfter aufgetragen werden können.

Wenn eine Band nach einer so langen Zeit wieder aus der Versenkung auftaucht, hat sie eine große Bürde zu tragen. Man kann dann schon auf die Idee kommen und verlangen, dass jedes neue Stück eine Offenbarung sei - schließlich war die kreative Pause lang genug. Diese hohe Hürde haben die B-52s zwar nicht genommen. Dafür haben sie ein erfrischendes Album nach altbewährten Rezepten abgeliefert, das den Hörer zwar nicht in Sphären des erweiterten Bewusstseins katapultiert, die Band dafür wieder auf das Podest der weltbesten Partyband. Es gibt drei geistreinigende Stücke (Pump, Too Much To Think About, Eyes Wide Open) die zeigen, in welche Richtung der künftige Pfad der B-52s gehen sollte. Dann noch ein paar stimulierende Partykracher wie Deviant Ingredient und leider auch zwei bis drei Laufzeitfüller. Letztere sollten wir aber nicht überbewerten, denn im Vordergrund steht erst mal die Freude darüber, dass sich die B-52s in Fast-Urbesetzung wieder zurückgemeldet haben. Nun bleibt inständig zu hoffen, dass die Pause bis zum nächsten Album nicht wieder so lange ausfällt...


Brain Donor: Thekla

Brain Donor: Thekla Der Blick auf die Headheritage-Website Ende Dezember offenbarte eine angenehme Weihnachtsüberraschung: Angeboten wurde ein Bootleg eines Konzerts von Julian Copes Spezialprojekt Brain Donor. Vor etwa einem Jahrzehnt tat sich der Brite mit Ex-Spiritualized Gitarrist Doggen Foster und Drummer Kevlar zusammen, um ein durchschlagendes Power-Trio ins Leben zu rufen. Kevlar wurde später durch Mister E ersetzt, der zusammen mit Doggen Foster auch im Line-Up der Cope'schen Hausband zu finden ist.

Brain Donor wird von Cope zuweilen als "Stuporgroup" (Betäubungs-Gruppe) bezeichnet, was angesichts ihres rauen, harten und ungeschliffenen Sounds verständlich ist. So produziert das Trio vornehmlich scheppernde Attacken auf Gehör und Gehirn, gespickt mit langen Gitarrensoli, hypnotischem Gesang und harscher Brachialität - Proto-Metal at it's best.

Außer den bisher erschienen Studioalben ist Thekla Brain Donors einzige Live-CD, sieht man einmal von der allerdings hoffnungslos vergriffenen CD "Too Freud to Rock' n Roll, Too Jung to Die" ab. Es handelt sich um die Aufzeichnung eines Gigs im namensgebenden Thekla-Club in Bristol, die aus dem Publikum mithilfe eines tragbaren Recorders gemacht wurde. Irgendwie gelangte die Aufnahme zu Headheritage, wo sie nun aufgrund der mäßigen Soundqualität für wenig Geld (knappe 10 Euro) angeboten wird.

Zu hören sind bei insgesamt akzeptabler Klangqualität acht energiereiche Stücke. Besonders beeindruckend sind Doggen Fosters Gitrarrenkünste, die von einschlagenden Riffs bis hin zu nahezu außerirdischen Soli reichen. Das Fundament bilden dabei Copes knochenharter Bass und Mister E's sportliche Schlagzeugdresche. Copes sehr wandlungsfähiger Gesang passt sich den Gegebenheiten an - man glaubt kaum, dass dieselbe Stimme Spitzensongs wie I found a new way to love her intoniert hat. Insgesamt ist "Thekla" eine kurzweilige CD, die eine erfrischend spielfreudige Band in Minimalbesetzung zeigt. Ab und an kommen Assoziationen an Iggy Pop's Livesound auf, wobei Brain Donor diesen allerdings ganz klar auf die hinteren Ränge verweist. Zum einen nämlich ist der Cope'sche Proto-Metal um einiges innovativer, als Pops immergleicher Kick-Ass-Sound. Zum anderen wartet Cope mit einer umfangreichen Botschaft auf und befriedigt somit auch intellektuelle Ansprüche. So kann man also unbedenklich jener klugen Anweisung folgen, die auf vielen Brain Donor - CD's aufgedruckt ist: Play this power trio loud as hell!

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Smashing Pumpkins: Zeitgeist

Smashing Pumpkins: Zeitgeist Die Musikwelt war um eine geniale Band ärmer geworden, als ihr Sänger und Chef Billy Corgan vor ein paar Jahren beschloss, die Smashing Pumpkins auf Eis zu legen. Personeller Ärger und fehlende Unterstützung durch die Plattenfirma waren die Gründe für diesen so konsequenten wie bedauernswerten Schritt. Seiner Hörerschaft hinterließ er mit Machina II/The Friends & Enemies of Modern Music ein beachtliches Musikwerk, dass er im Internet zum kostenlosen Herunterladen bereitstellen ließ, nachdem seine Plattenfirma die Veröffentlichung herauszögern wollte.

Im Unterschied zum stellenweise recht experimentellen Machina II klingt Zeitgeist geradezu geradlinig und kommerziell. Die zwölf Songs sind allesamt in einem Rutsch durchhörbar, ecken kaum an, fallen aber angenehm durch eine unverkennbare Härte auf. Wieder schichtet Corgan zig Gitarrenspuren übereinander, um den typischen Bombastsound der Pumpinks hinzukriegen. Ausnahmedrummer Jimmy Chamberlin besticht dabei mit treibend-virtuoser Rhythmusarbeit, während Corgan seine Texte in gewohnter Manier über die fetten Arrangements näselt. Dabei ist Chamberlin der Einzige aus den alten Tagen der Band, der Rest wurde schlicht dazugekauft - von Wiedervereinigung kann also kaum die Rede sein.

Thematisch kreist Zeitgeist um die kriegstreibenden Vereinigten Staaten unter George W. Bush, besonders trefflich dargestellt im Inneren des Beihefts: Dort steht der Sensemann höchstpersönlich auf dem präsidialen Rednerpult des Weißen Hauses. Besser ließen sich Bush und seine Außenpolitik kaum symbolisieren.

Alles in allem reicht Zeitgeist in seiner Geradlinigkeit leider nicht an seine Vorgänger heran. Ein wenig mehr Experimentierfreude hätte dem Album gut getan; auch reichen die Songs - mit Ausnahme von "United States" - nicht über (oberes) musikalisches Mittelmaß hinaus. Oft drängt sich leise der Verdacht an kommerzielle Zugeständisse auf. Aber vielleicht muss sich Corgan einfach nur wieder warmkomponieren....


Julian Cope: You Gotta Problem With Me

Julian Cope: You Gotta Problem With Me Der Mann ist beneidenswert: Mit den Tantiemen aus seinen Erfolgen in den Achtzigern kann Cope heute gut genug leben, um machen zu können, was er will. Nicht, dass er mit "Trampolene" & Co. steinreich geworden wäre. Jedoch hat ihn schon damals kommerzieller Opportunismus aufs Tiefste angewidert. So verzog er sich etwa nach seiner chartsmäßig größten Knaller-LP "My Nation Underground" gedemütigt ins Studio und nahm auf eigenes Risiko authentische Cope-Songs auf.

Heute hat er sich derart konsequent von allen Plattenfirmen und kommerziellen Verpflichtungen getrennt, dass seine CDs höchstens noch in Second-Hand Plattenläden zu finden sind. Alles andere muss über den Vertrieb seines eigenen Labels bezogen werden.
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Die völlige Unabhängigkeit von den kommerziellen Ansprüchen großer Plattenfirmen hat Cope mehr als gut getan. Nun kann er ungestört seine musikalischen und inhaltlichen Obsessionen ausleben, was für den Hörer unter Umständen auch unbequem ausfallen kann. Waren seine beiden letzten Alben von teils heftigem Gitarrengerotze und einer in laute Klangmauern transformierten emotionalen Tiefe gekennzeichnet, kommt You Gotta Problem With Me um einiges leiser daher.

Wieder kreist alles um sein Lieblingsthema, namentlich die destruktive Kraft monotheistischer Religionen, die es zu bekämpfen gilt. In seinen Texten begibt er sich zur Veranschaulichung in Länder wie den Irak oder Saudi Arabien. Denn besonders dem Islam kreidet er an, Unterdrückung und Leid von Frauen im Namen einer narzistisch-patriarchalen Herrschaft zu unterstützen. So fußen für ihn die drei "anti-humanen" Religionen Christentum, Judentum und Islam auf einem "barbarischen Bronzezeit-Text, dem Alten Testament" (Covertext, eigene Übersetzung).

Wer bei soviel Leidenschaft krachigen LoFi-Protometal á la Brain Donor erwartet, dürfte allerdings enttäuscht werden. Cope hat viel zu sagen, und so mutiert die Musik eher zur nebensächlichen Untermalung seiner ausgedehnten Lyrics. Dabei fasziniert einmal mehr sein stimmlicher Variationsreichtum. Mal kreischt er heiser, mal säuselt er tief und sonor, mal wechselt er von gefühlvoller Brust- zu tragischer Kehlkopfstimme. Sick Love und Can't Get You Out Of My Country interpretiert er mit geradezu alberner Intonation, und Woden wird künstlich in solche Höhen gepresst, dass seine Stimme stets kurz vor dem Umkippen steht - alles im Dienste der bestmöglichen Übereinstimmung von Aussage und Gesang.

Die Instrumentierung bleibt also eher spartanisch. Im Vorderund stehen Gitarre und Mellotron, während die Rhythmussektion einer Roßkur unterzogen wurde. Statt eines Schlagzeugs sind zumeist nur einzelne Trommeln und Becken zu hören, wie man sie von Marschkapellen her kennt. Ab und an lugt Copes unvergleichliches Talent für bestechende Melodieführungen heraus. So hätte Doktor Know ohne weiteres das Zeug zu einem veritablen Radiohit - wäre es standardgemäß instrumentiert. Aber so verleihen gerade die verlorene Gitarre, das zarte Mellotron und die vereinzelten Trommeln den lieblichen Lyrics eine ganz besondere Magie. Allerdings dürfte derartiges nur geübten Kennern des Cope'schen Werkes zugänglich sein. So wendet sich auch You Gotta Problem With Me an einen vergleichsweise kleinen Hörerkreis, der eben dieses und ähnliche Probleme mit Herrn Cope nicht kennt.




Buchkritiken

Peter Plichta: Gottes geheime Formel - Die Entschlüsselung des Welträtsels und der Primzahlcode

[Langen Müller, ISBN 978-3-7844-2749-2]

Peter Plichta: Gottes geheime FormelDie Mathematik als Schlüssel zur universellen Wahrheit? Zahlen als Grundlage eines wissenschaftlichen Gottesbeweises? Primzahlen als Ausdruck eines intelligenten Bauplanes des Universums? Peter Plichta reißt in seinem Buch "Gottes geheime Formel - Die Entschlüsselung des Welträtsels" die Weltbilder der modernen Naturwissenschaft ein, indem er nichts geringeres zu leisten glaubt, als den Bauplan des Universums zu entschlüsseln. Und dies alles mit der inbrünstigen Überzeugung eines Menschen, der sich für erleuchtet hält.

Sein Buch richtet sich an "den Mann auf der Straße" und kommt so ohne höhere Mathematik aus, die er in anderen Veröffentlichungen wohl betreibt. Dafür bettet er seine Zahlenspiele in eine autobiographische Schilderung seines Lebensweges ein, die im wesentlichen das Bild einer Persönlichkeit zeichnet, die - formulieren wir es mal vorsichtig - ein wenig die Bodenhaftung verloren hat. Allerdings schwindet mit dieser Bodenhaftung auch jegliche wissenschaftliche Seriosität, die Plichta angesichts seiner angeblich so epochalen Erkenntnisse dringend nötig hätte. Zum Ausgleich dafür betont er seine höhere Bestimmung und disqualifiziert sich damit in einem Streich als ernstzunehmender Autor.

Gleich zu Anfang beschreibt er, wie sich bei seiner Geburt der Himmel aufgetan und ein "gleißender Lichtstrahl wie von einem starken Scheinwerfer" (S.23) auf seinen Kopf geschienen hat. Für Plichta eine Prophezeiung bei der Geburt, für den aufgeklärten Leser eher ein Signal, das Buch dem Altpapier anzuvertrauen. Aber spätestens hier ändert sich die Motivation fürs Weiterlesen: War man trotz aller Skepsis am Anfang einfach nur neugierig auf die Argumentation, hält den Leser fortan Plichtas unfreiwillig satirischer Stil am Ball. Denn im Grunde trieft das Buch vor unbescheidener Selbstbeweihräucherung, maßloser Selbstüberschätzung und billigem Eigenlob. Esoterischer Hokuspokus anstelle wissenschaftlicher Seriosität.

Dabei ist Plichta niemand, der auf den Kopf gefallen ist. Überlesen wir in seiner Autobiographie mal die ständig eingestreuten Hinweise auf seine Genialität und Bestimmung, erhalten wir das Bild eines beruflichen Aufsteigers. Er wächst in einem gutsituierten Elternhaus auf, ist gut in der Schule, studiert Chemie, anschließend noch Jura, Pharmazie und Mathematik. Er promoviert in Chemie und erhält schnell einen Posten als Wissenschaftlicher Mitarbeiter. Um das Jahr 1981 herum beendet er jedoch seine universitäre Karriere und zieht sich als Privatdenker in einen "schalldichten Raum" zurück, um das Welträtsel zu entschlüsseln. Das gelingt ihm dann auch in Form des Primzahlkreuzes und anderer Zahlspiele, die seiner Meinung nach zeigen, dass der Entstehung des Universums kein Zufallsprinzip zugrunde liegt, sondern ein intelligenter Bauplan, der sich im Zahlensystem manifestiert. Vom Universitätsaufsteiger zum Fall für Pfarrer Fliege.

Seine Zahlenspiele indes vermögen einen zugegeben mathematisch nur durchschnittlich bewanderten Rezensenten nicht so richtig zu überzeugen. Die meisten seiner Erkenntnisse bringen leidlich verblüffende Regel- und Gesetzmäßigkeiten hervor, die halbwegs interessante Symmetrien und numerische Verteilungsstrukturen aufzeigen. Dahinter von einem Gott gegebene Weltgesetze zu sehen oder gar den universellen Bauplan der Welt aufgedeckt haben zu wollen, bedarf einer blühenden Phantasie. Wenn bei Plichta mit esoterischer Theatralik von tiefer Demut und Ergriffenheit Erkenntnisse vorgetragen werden, kreist über dem Kopf des Lesers schon eher mal ein ungläubiges Na und?!. Denn alle verborgenen Gesetzmäßigkeiten um Primzahlen und die von Plichta bemühte Prominenz der Zahlen 81, 3 sowie 19 + 1 können letztlich auch auf das genaue Gegenteil eines göttlichen Bauplans hinweisen. Basiert das Universum auf zufallsgesteuerten Prozessen, können nur äußerst seltene Optimalbedingungen menschliche Intelligenz und Mathematik hervorgebracht haben, die sich nicht zuletzt in numerischen Pseudokuriositäten wiederfinden.

So legt der aufgeklärte Leser das Buch nach 316 Seiten beiseite und ist ein wenig ratlos. Keine Spur von einem Gottesbeweis, dafür jede Menge esoterisch verbrämte Zahlenspiele, Überheblichkeiten und Selbstbeweihräucherungen. Dabei hätte man aus dem Thema etwas durchaus Interessantes machen können. So aber hat Plichta nichts weiter fabriziert, als einen weiteren Schinken für die Esoterikabteilung. Genau dorthin gehört "Gottes geheime Formel" - zwischen all die selbsternannten Genies, Weltverbesserer und Hobbypropheten, die eigentlich niemand braucht.



Sascha Adamek / Kim Otto: Der gekaufte Staat

[Kiepenheuer & Witsch, ISBN 978-3-462-03977-1]

Adamek / Otto: Der gekaufte StaatEs gibt Bücher, die sollte man nicht vor dem Einschlafen lesen. Dazu gehören Gruselschmöker wie auch manche politischen Bücher. Es gibt auch eine Kombination aus beidem, wie etwa das vorliegende Werk der herausragenden Journalisten Adamek und Otto. Hier erzeugen den Gruseleffekt nicht glibberige Geister und Ghouls, sondern der Umgang der deutschen und europäischen Spitzenpolitik mit grundlegenden demokratischen Spielregeln. Und dieser ist im Unterschied zu den Wesen der Schattenwelt völlig real, würde sich aber seinerseits in der öffentlichkeitslosen Schattenwelt der Ministerien abspielen, gäbe es nicht die investigative Spitzenleistung der Autoren.

Im Zentrum stehen sogenannte "Leihbeamte", die von Konzernen entsandt und bezahlt in den Schaltstellen der Exekutive, namentlich den Büros der Bundes- und Landesministerien sitzen. Was die Vertreter partikularer Konzerninteressen in Behörden zu suchen haben, die nach grundlegenden demokratischen Prinzipien der staatlichen Gewaltenteilung unabhängig und dem Gemeinwohl verpflichtet sein sollen, ist so brisant wie fraglich. Die demokratieferne Vermischung öffentlicher und privater Interessen geht nach Adamek und Otto auf eine pädagogische Idee des ehemaligen SPD-Innenminsters Otto Schily sowie des Deutsche Bank Personalvorstands Tessen von Heyedebreck zurück. Mit einem "Personalaustauschprogramm" zwischen Wirtschaft und Politik wollte man dafür sorgen, dass Beamte wie Manager auch mal über den Tellerrand ihrer Tätigkeit gucken können. Ein notorischer Nörgler, wer Schlechtes dabei denkt. Doch die Realität dieses Schüleraustauschs auf Spitzenebene sah ganz anders aus, als von den politisch Verantwortlichen dargestellt.

Adamek und Otto decken mit ihrer brillanten investigativen Recherchearbeit auf, wie sehr sich eine fragwürdige Idee aus dem Umfeld der konzernfreundlichen rotgrünen Regierungskoalition unter Gerhard Schröder zum Einfallstor für einen ungehemmten Industrielobbyismus verwandelt hat. Denn die meisten dieser Leihbeamten waren (und sind noch) mit den erforderlichen Kompetenzen ausgestattet, um Gesetzesentwürfe mitzugestalten - natürlich ganz im Sinne ihrer Arbeit- und Brötchengeber aus den Reihen der Großkonzerne und Wirtschaftsverbände.

Der Leser reibt sich die Augen, wenn geschildert wird, wie sich in Roland Kochs christkonservativem Hessen FRAPORT Mitarbeiter in der Luftaufsicht ihre eigenen Lärmschutzvorgaben schreiben. Oder wenn die Autoren aufdecken, in welcher infamen Weise Vertreter der Energieoligopols aus RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW innerhalb der Exekutive eine staatliche Kontrolle ihrer Marktmacht verhindern - die explodierenden Strompreise lassen grüßen. Tränen kommen dem Leser spätestens bei Kapitel Vier, wenn Adamek und Otto aufdecken, wie eine Lobbyvertreterin des BVI (Bundesverband Deutscher Investment-Gesellschaften) im Finanzministerium an der Ausarbeitung eines "modernen Investmentgesetzes" mitgewerkelt hat, das schließlich den von Franz Müntefering so gescholtenen Heuschrecken mehr als zugute kam. Brechreiz kommt auf, wenn geschildert wird, wie der Bertelsmann-Konzern im Bundesgesundheitsministerium an Gesundheitsreformen mitarbeitet und sich über seine Tochtergesellschaft Arvato anschickt, via PPP (Public Private Partnership) öffentliche Aufgaben gewinnbringend zu privatisieren. Und Resignation über den traurigen Zustand der Demokratie im fortgeschrittenen Kapitalismus macht sich schließlich breit, wenn die Autoren aufzeigen, wie Vertreter der Chemieindustrie innerhalb der Europäischen Kommission dafür sorgen, dass die Chemikalienrichtlinie REACH statt Verbraucherinteressen wieder Renditeinteressen dient.

Aufschlussreich ist auch das letzte Kapitel, in dem der Verlauf der Recherche selbst beschrieben wird. Adamek und Otto sind dabei auf allerlei Mauern und verschlossene Türen gestoßen, denn so harmlos die Idee eines "Personalaustausches" auch klingen mag - den politisch Verantwortlichen ist die skandalöse Brisanz dieser neuen Praxis durchaus bewusst. Die Autoren sind aber ebenso auf Spitzenpolitiker gestoßen, die bei der Konfrontation mit den Rechercheergebnissen aus allen Wolken gefallen sind. Um so mehr erstaunt, dass derartig undemokratische und rechtswidrige Praxen keinen öffentlichen Aufschrei verursacht haben und noch immer stattfinden. Und Kanzlerin Merkels Reaktion auf einen offenen Brief der Organisation Lobby Control zeigt, wie wichtig dieses Thema der Exekutive ist, nämlich gar nicht. Dumm nur, dass es hierbei um die grundlegende demokratische Architektur staatlicher Institutionen geht.

"Der gekaufte Staat" ist ein alarmierendes Buch, dass in keinem aufgeklärten Haushalt fehlen darf. Es zeigt den dramatischen Verfall des demokratischen Bewusstseins führender Politeliten ebenso auf, wie die bedrohliche Zunahme des Einflusses von Konzerninteressen auf das Regierungshandeln und damit die Lebensumstände der Bevölkerung. Wenn Gemeinwohl den Renditeinteressen der Konzerne geopfert wird und ökonomische Skrupellosigkeit auf politische Dummheit trifft, sind Aufklärung und Mobilisierung so dringlich wie nie. Auch auf die Gefahr hin, nicht mehr gut einschlafen zu können.



Peter Schaar: Das Ende der Privatsphäre - Der Weg in die Überwachungsgesellschaft

[C. Bertelsmann Verlag, München, ISBN 978-3-570-00993-2]

Peter Schaar: Das Ende der PrivatsphäreDer Trend zur Überwachungsgesellschaft ist ungebrochen. Im zunehmend ungezügelten Ge- und Missbrauch sensibler persönlicher Daten zeigt sich ein schwerwiegender Teilaspekt der aktuellen Erosion von Bürgerrechten und Demokratie. Mit immer ausgefeilteren technischen Methoden kann bis in die tiefsten Bereiche der privaten Lebensgestaltung gespäht werden. Und mit immer leistungsfähigerer Hochtechnologie lassen sich immer leichter ganze Persönlichkeits- und Verhaltensprofile von Bürgern erstellen, ohne dass diese davon nur etwas ahnen. Mit den sich rasant entwickelnden technischen Möglichkeiten der Datengewinnung und -auswertung wachsen auch die Begehrlichkeiten von Seiten des Staates und der Wirtschaft. Die Privatsphäre, eigentlich ein geschütztes Rückzugsgebiet des Bürgers gegenüber dem staatlichen Einflussbereich, gerät zum bedrohten Terrain zu werden - und mit ihr das Konzept eines freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens.

Wissen bedeutet Macht, und je ausgefeilter und tiefer die gewonnenen Informationen sind, desto besser lassen sich Bürger und Kunden kontrollieren und ihr Verhalten voraussagen. Die Komplexität der Materie sowie ein naiver Umgang bestimmter Medien mit diesem Thema bringt es mit sich, dass vielen Menschen das Bewusstsein über die Brisanz dieser Entwicklung abhanden gekommen ist. Was vielen Politkern und Wirtschaftsbossen gelegen kommen dürfte, denn eine desinformierte und gleichgültige Bevölkerung wird sich kaum gegen ihre Entrechtung auflehnen.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Schaar befasst sich eingehend mit dieser Materie. Minuziös und in verständlichen Worten beschreibt er ein Szenario, das dem politisch Interessierten einen Schauer nach dem anderen über den Rücken jagen lässt und leidenschaftlichen Demokraten Tränen der Verzweiflung in die Augen treibt. Ausführlich listet er gängige und geplante technologische Mittel auf, mit denen Staat wie auch Privatwirtschaft die Persönlichkeiten von Bürgern, Kunden oder Arbeitnehmern nach Strich und Faden ausspionieren. Er schreibt über Handys als "Peilsender in der Jackentasche", über die beiläufig anfallenden Datenmassen beim Surfen im Internet, den Großen Lauschangriff, die Vorratsdatenspeicherung, staatliche Online-Durchsuchungen, die Verschärfungen nach dem 11. September, über intransparente Scoring-Verfahren, die Arbeitnehmerüberwachung und viele beängstigende Dinge mehr. Auch spricht er von der Neustrukturierung der staatlichen Sicherheitsarchitektur, etwa wenn sich polizeiliche und nachrichtendienstliche Behörden - entgegen aller bösen Erfahrungen aus dem Nazireich - immer weiter vermischen.

Jeder Teilaspekt der Bedrohung der Privatsphäre hat für sich genommen zuweilen etwas Dramatisches. In ihrer Gesamtheit bilden die aufgelisteten Freiheitsbedrohungen jedoch den unübersehbaren Ansatz einer zunehmend totalen Überwachungsgesellschaft ab, die gerade wegen ihres totalitären Potenzials einer eingehenden politischen Analyse bedarf.

Aber das ist leider nicht die Sache des Peter Schaar. Zuweilen scheint es, als sehe er vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr. Zu fest glaubt er an die demokratische Verwurzelung der freien sozialen Marktwirtschaft, als dass er einen Blick auf die neue politische Qualität des post-fordistischen Kapitalismus wagen würde. Spätestens nach dem letzten Kapitel müsste einem politologisch orientierten Autor die Frage nach der Vereinbarkeit von Demokratie und Kapitalismus sowie die nach einer schleichenden Transformation ehemals demokratischer Gesellschaftsmodelle in proto-totalitäre Systeme förmlich in den Ohren schrillen. Doch Systemkritik ist - bei aller Offensichtlichkeit der düsteren Entwicklung - nicht Sache des Bundesbeauftragten für Datenschutz und soll es wohl auch nicht sein.

Dennoch ist Schaars Buch ein ausgesprochen lesenswerter Beitrag zu einem Thema, das dringend einer höheren Aufmerksamkeit in der Bevölkerung verdient. Es ist ein Katalog der Gefahren und Grausamkeiten. Eine bloße Auflistung, aber leider nicht mehr.




Simon Borowiak: Alk

[Eichborn-Verlag, Frankfurt am Main, ISBN 978-3-8218-5644-5]

Simon Borowiak: Alk Dass Saufen ungesund ist, haben wir ambitionierten Trinker schon immer geahnt. Doch hat es uns zumeist am nötigen Mumm gefehlt, eine medizinische Broschüre zu diesem Thema in die Hand zu nehmen. Kein Wunder, denn der spaßferne Weißkitteljargon verdirbt einem derart die Laune, dass man hinterher erst recht einen kräftigen Schluck aus der Pulle braucht - Fettleber hin oder her.

Simon Borowiak packt den Themenkomplex Trinken, Sucht und medizinische wie soziale Folgen mal anders an. Er ist ein kompetenter Sachverständiger, denn seine eigenen Erfahrungen reichen von den angenehmen Seiten des Trinkens bis hin zu Entzug und Therapie. In einer flapsigen, parawissenschaftlichen Sprache vermittelt er gekonnt medizinische Fakten und Zusammenhänge, die jeden Trinkfreund unter normalen Umständen dazu veranlassen würden, den Ärzteschund entnervt in die Ecke zu schmeißen. Dass er dabei mit der ein oder anderen Formulierung ein wenig übers Ziel hinaus schießt, sei ihm nachgesehen.

Die physiologischen Vorgänge werden so plastisch dargestellt, dass man selbst nach drei Flaschen Wein im Kopf noch versteht, was in Körper und Geist gerade vor sich geht. Und das regt zum Denken an - mehr als jedes AOK-Aufklärungsheft. Natürlich haben seine Ausführungen Hand und Fuß. So dürfen auch die medizinischen Fachtermini nicht fehlen, falls man auf die Idee kommen sollte, über seinen gegenwärtigen Zerfallszustand tiefere Recherchen anzustellen.

Was einem nach allzu regelmäßigen Blicken in tiefe Gläser blühen kann, bleibt natürlich nicht ausgespart. Außer den organischen Veränderungen widmet er sich intensiv den Bereichen Therapie, Rückfall und psychosoziale Betreuung. Spätestens hier wird deutlich, dass hinter der flapsigen Sprache etwas nur allzu Ernstes steckt. Und dieses allzu Ernste gerät unversehens in einen deutlichen Kontrast zu seiner Präsentation.

Hier hätte Borowiak, der sich übrigens hinter seinem Pseudonym nicht nur als Alkoholiker, sondern auch als Autor von " Frau Rettich, die Cerni und ich" outet, den Weg der politischen und gesundheitlichen Inkorrektheit beschreiten sollen, um Stil und Inhalt die nötige Kongruenz zu verleihen. Bei dem Thema sicher sehr brisant - aber allemal spannend und unterhaltsam...

Insgesamt ist "Alk" ein gut zu lesendes Buch über ein ernstes Thema, das in keinem Trinkerhaushalt fehlen sollte. Allerdings hat es in der Hausbar nicht viel verloren - eher schon auf dem Nachttisch, um sich damit nach dem nächsten Kater die Wartezeit bis zur erhofften Spontanremission zu vertreiben.



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